So, Freunde der gepflegten Tanzmusik, jetzt kommt es darauf an, wie es weitergeht. Um uns herum regiert die Komödie, scheint mir: Die Meldungen beginnen mit steigenden Infektionszahlen, die anschließende Meldung handelt von allerlei Diskussionen um Modellprojekte, Lockerungen oder Freiheiten für Geimpfte.  Während Mutationen um sich greifen, sind die meisten Leute der Meinung, sie können jetzt nicht mehr und müssen unbedingt wieder Leute treffen, in Urlaub fahren, zur Fußpflege oder in Dubai Fußball spielen.

Es geht mir hier nicht um eine Diskussion über das Pro und Contra von Corona-Maßnahmen. Ich habe für mich beschlossen, mich nicht mehr damit zu befassen, denn ich habe ohnehin wenig Einfluss darauf, was als nächstes beschlossen wird oder nicht. Ich halte mich an alles, was gilt, und fertig.

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor einiger Zeit kurz davor war, mich von dem Strom an Frust und Ärger mitreißen zu lassen. Glücklicherweise habe ich aber rechtzeitig die Notbremse gezogen und beschlossen, dass mein Leben und das Leben meiner Familie es nicht verdient haben, jeden Tag mit Jammern zu verbringen.

Wir sind hier fünf Gefährten auf dem Weg nach Mordor. Vielleicht sind wir auch gute 80 Mio. Gefährten auf dem Weg nach Mordor. Eigentlich sind wir sogar mehr als 7 Mrd. Gefährten auf dem Weg nach Mordor. Aber wirklich unmittelbaren Einfluss habe ich nur auf mich und die vier Gefährten an meiner Seite. Es ist meine Aufgabe, den Ringträger zu beschützen, ihn zu ermutigen, zu bestärken und ihn notfalls ein Stück des Weges auf meinen Schultern zu tragen. Und wisst wir was? Manchmal bin ich der Ringträger, der von den anderen gestützt werden muss. Dabei ist es egal, ob die Gefährten klein sind wie Hobbits und die Stütze darin besteht, dass sie mir liebvolle Sätze ins Ohr flüstern wie: „Mama, du bist die Allerbeste.“ oder „Ich freue mich schon auf morgen.“ oder mir einen klecksenden Sandkuchen „backen“ zur Aufmunterung. Oder ob es ein großer Elb oder Waldläufer ist, der mir einen schweren Stein oder eine Aufgabe aus dem Weg räumt, für die meine Kraft gerade nicht reicht. Meistens versuche ich mich selbst aber als diejenige zu sehen, die für meine Liebsten die Stütze und Kraftquelle sein kann, darf und muss. Weil es auch auf mich selbst positiv zurück fällt, wenn ich merke, dass ich gebraucht werde und dass ich unmittelbar bei meinen Liebsten etwas zum Guten verändern kann.

Wir sind gemeinsam auf dem Weg. Bis der Ring (aka das Virus) nicht endgültig im Feuer des Schicksalsberg vernichtet wurde, ist es unsere Aufgabe, den Weg weiter zu gehen. Wir sehnen uns alle ins Auenland zurück. Nach den grünen Hügeln, nach unseren Familien und Freunden, nach Festen, nach Urlaub, nach Unbeschwertheit und Ausgelassenheit. Das ist gar keine Frage. Gerade deswegen dürfen wir aber jetzt unsere Gefährten nicht hängen lassen und den Kopf nicht in den Stand stecken. Jetzt sind wir gefordert, durchzuhalten, Unterstützung zu bieten, Mut zu machen, die Ohren nicht hängen lassen und den Ringträger (wer auch immer gerade die Last zu tragen hat) nicht im Stich zu lassen.

Wie gesagt, es mir überhaupt nicht um eine politische Dimension. Es geht mir ganz konkret darum, dass jeder von uns eine Last zu tragen hat, die mal mehr, mal weniger schwer wiegt – übrigens auch jenseits von Corona. Unser Jüngster ist seit Dezember gerade mal vier Wochen im Kindergarten gewesen und hat seitdem keine seiner Freunde mehr getroffen. Das bedeutet Kinderbetreuung 24/7. Die beiden Großen gehen im Wechselbetrieb in die Schule, aber erst, nachdem sie morgens einen Selbsttest durchgeführt haben, worüber sie auch nicht immer glücklich sind. Es tut ihnen eigentlich gut in der Schule zu sein, aber es fühlt sich wie ein ständiges Hin und Her an, sie vermissen die Klassenkameraden aus der anderen Gruppe, die sie seit Monaten nicht gesehen haben, und manch ein Klassenkamerad legt ein seltsames, manchmal nur schwer zu ertragendes Veralten an den Tag – aus welchen Gründen auch immer.

Der Herr des Hauses arbeitet die meiste Zeit im homeoffice, das bedeutet Rücksichtnahme und Verständnis von allen Anwesenden. Ich befinde mich gerade in einer Qualifizierungsmaßnahme zwecks beruflicher Umorientierung, ohne dass wir „Anspruch“ auf Notbetreuung hätten. Also das bisschen Haushalt und rundum Kinderbetreuung am Tag und Lernen am Abend/in der Nacht. Bitte versteht mich nicht falsch, ich weiß, dass wir uns in einer privilegierten Situation befinden. Aber so viele andere haben eine ähnlich privilegierte Situation und sind dennoch am Ende. Wenn die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen es zulassen, dann ist es meiner Ansicht nach aber „nur“ eine Frage der Entscheidung, ob das Glas halb voll oder halb leer bzw. so gut wie leer ist. Ob wir weitergehen auf dem Weg nach Mordor und irgendwann ins Auenland zurück kehren können. Oder ob wir auf halber Strecke aufgeben und unsere Gefährten im Stich lassen. Jede Situation ist anders, jeder hat mit anderen Sorgen und Nöten zu kämpfen. Das weiß ich. Ich weiß aber auch, dass jeder gebraucht wird. Und ich weiß, dass jemand, der zuversichtlich ist und ein gutes Wort oder eine gute Tat für seine Gefährten übrig hat, auch mehr für sich selbst tut, als jemand, der gerade alles ganz schrecklich findet. Übrigens spielt es dabei keine Rolle, ob die Gefährten direkt neben einem gehen (dürfen) oder ob wir Abstand halten.

Wie so viele andere auch träume ich oft von meinem ganz persönlichen Auenland. Das liegt in meinen Träumen manchmal in Neuseeland, manchmal in Kanada, Frankreich, an der Nordsee oder in den Alpen. Und manchmal liegt es in meinem Garten, der voll ist mit den Freunden meiner Kinder, die gerade eine Geburtstagparty (nach-)feiern. Solange es mir gut tut, träume ich davon und freue mich darauf. Aber ich vergesse dabei nicht, dass ich noch in eine andere Richtung unterwegs bin. Noch ist es nicht meine Aufgabe, eine Party zu planen. Noch ist es meine Aufgabe, mir und meiner Familie jeden Tag zu einer kleinen Party zu gestalten. Was auch immer wir alle dazu brauchen. Meine Kinder vor allem Süßigkeiten, gemeinsames Spielen, Zuwendung, der Herr des Hauses im homeoffice Ruhe zum Arbeiten, ich eine Mindestmaß an Ordnung und Sauberkeit. Und als echte Gefährten lernen wir, die Bedürfnisse der anderen so gut es geht zu respektieren. Die Schule des Lebens, sage ich euch. So viele Erlebnisse die Kinder in dieser Zeit missen (Exkursionen, Feiern, Freunde usw.), so viele Dinge lernen sie und auch wir als Eltern übrigens, was sonst niemals notwendig und möglich gewesen wäre.

Als ich diesen Text bis hierher schon veröffentlichen wollte, da war er plötzlich da: unser Tag im Auenland! Wir hatten uns vorgenommen, am Wochenende eine kleine Fahrradtour in die allernächste Umgebung zu machen. Von wegen mehr Bewegung und frische Luft, ihr wisst, was ich meine!? Also, eine grobe Richtung geplant, Verpflegung vorbereitet, rauf auf den Sattel (bzw. für den Kleinsten rein in den Anhänger) und los ging es. Wir waren kaum zehn Minuten unterwegs, da offenbarte sich uns eine solche Bildbuchlandschaft, das Auenland auf norddeutsch, sozusagen. Als ich die Idee zu dieser Fahrradtour hatte, hatte ich gehofft, dass es schön wird. Aber dass es ein so traumhaft Tag werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Da wir am Vormittag geradelt sind, waren nur sehr wenige andere Ausflügler unterwegs. Es ging an kleinen Bachläufen entlang und an einem See vorbei. Wir haben ein zauberhaftes Ausflugslokal entdeckt (leider geschlossen), das wir auf unsere „Nach-Corona-Wunschliste“ gesetzt haben. Die Strecke war gesäumt von Kuhweiden, gepflegten Gärten, Baumschulen, einer alten Mühle und malerischen Bauernhäusern, teilweise sogar reetgedeckt. Dazu schien die Sonne vom blauen Himmel mit weißen Wattewölkchen, damit es auf den „Beweisfotos“ etwas abwechslungsreicher aussieht.  Freunde, ich sage euch, mehr Urlaub geht (fast) nicht.

Deshalb schau auf das, was in deiner nächsten Umgebung ist. Ich bin sicher, egal wo du lebst, auch vor deiner Haustür gibt es noch Orte, die von dir entdeckt werden wollen. Und achte besonders auf deine Gefährten und auf das, was sie gerade von dir brauchen. Und wenn du nur wenige Gefährten an deiner Seite hast oder gar allein unterwegs bist, dann vergiss nicht, dass sich andere um dich sorgen. Hilf denen, die sich um dich sorgen und vielleicht nicht in deiner Nähe sein können, indem du gut auf dich aufpasst und gut für dich sorgst. Das ist nicht zu unterschätzen. Wir wollen uns doch alle eines nicht allzu fernen Tages im Auenland wiedersehen!

Alles Liebe
Pippa